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Hannes mit Enkelin


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Gedenkveranstaltung an die Pogrome vom 9. November vor 80 Jahren

Das Programm der Öffentlichen Gedenkveranstaltung in Wattenscheid am 9. November 2018

1. Die Moorsoldaten – an der Gitarre: Bernd Albers, Vorsitzender des Gemeinderates der Probstgemeinde St. Gertrud; Gesang: Christel Sehrig

Christel Sehrig und Bernd Albers Christel Sehrig und Bernd Albers

2. Begrüßung : Felix Oekentorp, Vorsitzender Kuratorium Stelen der Erinnerung e.V.

Felix Oekentorp Felix Oekentorp

3. Moderation: Christoph Nitsch, stv. Vorsitzender Kuratorium Stelen der Erinnerung e.V

4. Rede: Andreas Halwer, Stadtarchiv Bochum (wg Erkrankung vorgetragen von Felix Oekentorp)

5. Lied: Ilja Berin, Mitglied der jüdischen Gemeinde Bochum/Herne/Hattingen

Ilja Berin

6. Gedicht: "Andre, die das Land so sehr nicht liebten" von Theodor Kramer (1897-1958), vorgetragen von Alina Röllke

Alina Röllke

7. Rede: Felix Lipski, Vorsitzender des Clubs „Stern der Holocaust-Überlebenden“, „Kinder im Ghetto“, Felix Lipski verbrachte seine Kindheit im Ghetto von Minsk

Felix Lipski Felix Lipski

8. Text zu Pittsburgh: vorgetragen von Christoph Nitsch

Christoph Nitsch

9. Verlesung der Liste der 87 Wattenscheider Bürger jüdischen Glaubens – Opfer der Shoa: Alina Röllke, Tobias Damjanov, Nadine Wagner und Burgis Bienert

Verlesung der Opferliste

10. Kaddisch-Totengebet

das Totengebet

Rede Andreas Halwer, vorgetragen von Felix Oekentorp

Erinnerungskultur in Wattenscheid

Ostern 1945 war für die Wattenscheider der Krieg zu Ende. Das Leid, das in der Nazi-Zeit der jüdischen Bevölkerung, Sinti und Roma, Homosexuellen, religiös Verfolgten und politischen Gegnern angetan wurde, wurde zunächst nicht aufgearbeitet. Zum einen, weil es der Bevölkerung zum Teil unbekannt war, aber auch, weil man sich dafür schämte und vergessen wollte.

Zunächst erfolgte eine Aufarbeitung in juristischer Form. Die Täter wurden angeklagt und zum Teil verurteilt. Man tat sich jedoch schwer mit der Feststellung individueller Schuld. Es erfolgte parallel die Entnazifizierung, über die der Begriff „Persilschein“ vielleicht schon alles sagt. Hier konnten sich viele entlasten oder als Mitläufer darstellen, denn die Opfer konnten meist nicht aussagen, sie waren umgebracht oder geflohen.

Prozesse gegen Täter wurden oft erst viele Jahre später geführt. Im Dezember 1955 titelte die Zeitung über den Prozess gegen den ehemaligen SS Sturmbannführer und Kommandanten des KZ Lagers Stutthof, Paul Hoppe in Bochum „Milde Strafen für KZ Schwerverbrecher - Bochumer Schwurgericht erkennt nur auf Beihilfe zum Mord. […] Diese Milde ließ das Gericht walten, obwohl Landgerichtsdirektor Dr. Jagusch als Vorsitzender des Schwurgerichts nicht umhin konnte, in der Urteilsbegründung zu erklären, daß die Tötung der Menschen im KZ Stutthof ein schreiendes Unrecht gewesen sei. […] Die Angeklagten seien sich dessen bewußt gewesen. Doch keiner der beiden habe ernstlich versucht, den verbrecherischen Befehl zu umgehen. Mit der Bemerkung, daß die eigentlichen Täter die Machthaber des dritten Reiches gewesen seien, wurden die Verbrecher nur wegen Beihilfe verurteilt.“

Eine weitere Form der juristischen Aufarbeitung waren die Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren, die insbesondere jüdische Opfer betrafen. In diesen Verfahren wurden viele Schäden nicht anerkannt oder aber nur marginal entschädigt. Die Überlebenden oder die Nachfahren der Ermordeten gingen oft leer aus, weil ihnen die Beweise fehlten.

Aus der Tageszeitung möchte ich einige Sätze über Haftentschädigungen für KZ-Haft zitieren. Der Artikel erschien im Oktober 1949.

„Die Antragsteller müssen anerkannte politisch, religiös und rassisch Verfolgte sein. Wer wegen krimineller Delikte im Zuchthaus oder Konzentrationslager gesessen hat, kann sich nicht als politisch Verfolgter ausgeben. Da dies aber in vielen Fällen geschehen ist, wird die Anerkennung erst nach sorgfältiger Prüfung ausgesprochen. […] Das Gesetz sieht für jeden Haftmonat 150 DM Entschädigung vor. Voraussetzung ist jedoch, daß der Geschädigte mindestens 180 Tage seiner Freiheit beraubt war. […] Die Haftentschädigung, mit deren Auszahlung wahrscheinlich Anfang November begonnen wird, wird In Raten gewährt. […]“. So weit das Zitat. Allein das Wort „gewährt“ ist bezeichnend, denn es suggeriert eine Art von Gnade für die Verfolgten, nicht einen Anspruch.

In die Standesamtsregister waren ab 1938 für die jüdischen Bürger die zusätzlichen Namen „Sara“ und „Israel“ eingefügt worden. Dies wurde nach dem Krieg per Dekret von den Standesbeamten wieder beseitigt. Oft waren dies die selben Mitarbeiter, die den ursprünglichen Eintrag gefertigt hatten.

Eine moralische Aufarbeitung der Verfolgung erfolgte selten.

Der Stadtjugendring Wattenscheid begann 1966 mit dem Versuch, Israelis und Wattenscheider in Kontakt zu bringen. Ekkehard Rahlenbeck, damals Vorsitzender des Stadtjugendrings, reiste persönlich nach Israel und stellte den Kontakt zu überlebenden Wattenscheider Juden her. Im September des Jahres kam es zum Gegenbesuch einer Gruppe von 18 Israelis. Dieser Besuch erfolgte in Kooperation mit dem Landesjugendring Nordrhein-Westfalen. Die Gruppe wurde auch im Wattenscheider Rathaus empfangen. 1969 erfolgte ein weiterer Besuch in Wattenscheid. Von Ekkehard Rahlenbeck, der heute in Süddeutschland lebt, weiß ich, dass die Kontakte noch heute bestehen. Sie führten auch zu weiteren Besuchen von Nachfahren in Wattenscheid in den vergangenen Jahren und letztlich auch zur Verlegung von Stolpersteinen für die umgekommenen Vorfahren.

Im Mai 1972 enthüllte Oberbürgermeister Herbert Schwirtz für die Stadt Wattenscheid auf dem jüdischen Friedhof an der Bochumer Straße ein Denkmal für die umgebrachten jüdischen Bürger. 1990, ebenfalls im Mai, wurde hier am Nivelles-Platz eine Gedenktafel für die ehemalige Synagoge eingeweiht. Die Bezirksvertretung Wattenscheid hatte dies umgesetzt. Die Bronzetafel erinnert in hebräischer und deutscher Schrift an die Opfer der Shoa. Hier findet nun jährlich am 9. November nach der Gedenkstunde im Wattenscheider Rathaus die Kranzniederlegung des Bezirks Wattenscheid statt.

Fünf Jahre später kam es zu einem Besuch ehemaliger Wattenscheider Juden in ihrer einstigen Heimatstadt. Der Bochumer Historiker hatte sich mit der Geschichte der Juden in Bochum und Wattenscheid auseinandergesetzt und den Besuch vorgeschlagen, der dann organisatorisch von der Stadt Bochum umgesetzt wurde. Vom 2. bis zum 10. September 1995 fand dieser Besuch statt. Er führte die Teilnehmer auf Stadtrundgänge und zu ihren ehemaligen Wohnorten, insbesondere aber auch zu den jüdischen Friedhöfen. Der Besuch bot aber auch Platz für zahlreiche Gespräche. Hier trafen die älteren Jahrgänge mit Gleichaltrigen Bochumern und Wattenscheidern, aber auch mit jüngeren Leuten zusammen. Dieser rege Gedankenaustausch mündete in vielen Interviews. Diese waren dann später wieder die Grundlage für weitere Forschungen.

Der Besuch wurde von den Eingeladenen überwiegend als Good-Will Aktion und als Angebot zur Versöhnung wahrgenommen. Es gab aber auch ehemalige Bürger, die einen Kontakt ablehnten. Dies war schade aber nicht zu ändern und verständlich.

In Zusammenarbeit zwischen Evangelischer Stadtakademie, dem Verein Erinnern für die Zukunft und dem Stadtarchiv erschien 1999 zunächst in einfacher, im Jahr 2000 in Buchform das Gedenkbuch der Opfer der Shoa aus Bochum und Wattenscheid. Alle damals bekannten jüdischen Opfer bekamen damit endlich einen Namen. Durch weitere Forschungen ist dieses Buch aber leider nicht mehr ganz aktuell. Es sind inzwischen weitere Opfer bekannt. Darüber hinaus weiß man bei einigen heute mehr über ihren Leidensweg, sodass aus „verschollen“ oft eine genauere Bestimmung ihres Deportationsortes möglich ist. In wenigen Einzelfällen stellte sich sogar heraus, dass den Betroffenen die Flucht gelang.

Das Projekt Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig wird seit 2004 in Bochum und Wattenscheid als dezentrales Kunstwerk verwirklicht. „Stolpersteine“ sind kleine Gedenktafeln zur Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit, die im Straßenpflaster vor dem letzten freiwilligen Wohnort des NS-Opfers verlegt werden. Das Projekt lebt durch das Engagement der Bevölkerung. Denn nur, wenn Patenschaften übernommen werden, können neue Stolpersteine verlegt werden. Die Paten legen selbst fest, für wen sie eine Patenschaft übernehmen möchten. Das Stadtarchiv - Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte ist bei der Auswahl behilflich. Dem Anfertigen und Verlegen der Steine gehen Recherchen zur Biografie der Personen voraus, derer gedacht werden soll. Diese historische Spurensuche erfolgt nicht von „Amts wegen“, sondern durch Bürger unserer Stadt (Privatpersonen, Schulklassen, Organisationen). Durch Menschen also, die nicht nur bereit sind, die materiellen Kosten in Höhe von 120 Euro für einen „Stolperstein“ zu übernehmen, sondern durch ihre Recherche einen weiteren Beitrag dazu leisten möchten, die Erinnerung an den NS-Terror wach zu halten. Die erarbeiteten Ergebnisse werden öffentlich vorgestellt und können anschließend im Internet unter www.Bochum.de/Stolpersteine eingesehen werden. Inzwischen liegen 248 Stolpersteine über das ganze Stadtgebiet verteilt, davon 49 in Wattenscheid. In diesem Jahr kam auch eine „Stolperschwelle“ hinzu. Sie erinnert an die Zwangsarbeiter im KZ-Außenlager an der Oberen Stahlindustrie.

Wir treffen uns heute an der Gedenkstele am Nivelles Platz. Die Antifa Wattenscheid mit ihrem Vorsitzenden Hannes Bienert hatte über Jahre hinweg am 9. November zusammen mit Schülern der Opfer der Shoa gedacht. Dieses Gedenken hatte aber keinen angemessenen Ort. Er wollte an einzelne Menschen, einzelne Opfer erinnern. Dazu stellte er sich eine Namensliste vor, die in angemessener künstlerischer Form im Umfeld der ehemaligen Synagoge stehen sollte. Er suchte nach Sponsoren und Unterstützern. Das Denkmal wurde mit Geld- und Sachspenden finanziert, die Dank der Hartnäckigkeit von Hannes Bienert „eingetrieben“ wurden.

Im Herbst 2009 war das Werk vollendet. Die drei Glasstelen, gefertigt nach einem Entwurf von Dr. Michael Rosenkranz, konnten am 9. November zum ersten Male der Ort des Gedenkens sein. Auf ihr sind sowohl eine Innenansicht der Wattenscheider Synagoge als auch die Namen von 87 Wattenscheider Opfern der Shoa notiert, Menschen, die entweder in Wattenscheid geboren wurden oder hier lebten. Frauen, Männer, Kinder.

Eines dieser Opfer ist Betti Hartmann. Sie wurde im Februar 1927 in Wattenscheid geboren. 1942 wurde sie in Auschwitz umgebracht.

Bei einem Besuch in Auschwitz 2011 waren Wattenscheider Schüler auf den Namen gestoßen, den Namen eines Mädchens, das etwa in ihrem Alter war, als es starb. Hannes Bienert stellte den Bürgerantrag, den Wattenscheider Rathausvorplatz nach ihr zu benennen. 2013 erfolgte dies.

Liest man sich die Liste der Shoa Opfer auf dieser Stele vor, sieht man, dass Betti Hartmann nicht einmal das jüngste Opfer der Shoa aus Wattenscheid war. Mehrere Kinder sind noch jünger als sie. Unvorstellbar.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Gedicht "Andre die das Land so sehr nicht liebten" von Theodor Kramer, vorgetragen von Alina Röllke

Andre, die das Land so sehr nicht liebten

Andre, die das Land so sehr nicht liebten,
warn von Anfang an gewillt zu gehn;
ihnen – manche sind schon fort – ist besser,
ich doch müßte mit dem eignen Messer
meine Wurzeln aus der Erde drehn.

Keine Nacht hab ich seither geschlafen,
und es ist mir mehr als weh zumut;
viele Wochen sind seither verstrichen,
alle Kraft ist längst aus mir gewichen,
und ich fühl, daß ich daran verblut.

Und doch müßt ich mich von hinnen heben,
sei’s auch nur zu bleiben, was ich war.
Nimmer kann ich, wo ich bin, gedeihen;
draußen braucht ich wahrlich nicht zu schreien,
denn mein leises Wort war immer wahr.

Seiner wär ich wie in alten Tagen
sicher; schluchzend wider mich gewandt,
hätt ich Tag und Nacht mich nur zu heißen,
mich samt meinen Wurzeln auszureißen
und zu setzen in ein andres Land.

Theodor Kramer (1897-1958)

Opfer der Shoah aus Wattenscheid

entnommen dem Gedenkbuch "Opfer der Shoah aus Bochum und Wattenscheid" erschienen im Kamp Verlag, herausgegeben von
der Evangelische Stadtakademie Bochum, dem Stadtarchiv Bochum und dem Verein "Erinnern für die Zukunft"

Arensberg , Erich

Auerbach , Siegfried

Basch , Martin

Brandt , Emilie , geb. Fryda

Elkus , Hermine , geb. Rittgen

Emer , Markiel

Flatow , Bertha

Frankenhaus , Hedwig , geb. Rosenhoff

Fryda , Betty , geb. Silbermann

Fryda , Emil

Fryda , Hans

Gerson , Johanna , geb. Kaufmann

Goldblum , Lina , geb. Blum

Groß , Heinz

Groß , Hugo

Groß , Inge

Groß , Martha , geb. Spiero

Guttenberg , Ella , geb. Rosenberg

Hanauer , Else

Hartmann , Betty

Hess , Alfred

Heymann , Alfred

Hochfeld , Paula , geb. Salomon

Katzenstein , Albert

Kaufmann , Albert

Kaufmann , Elfriede

Kaufmann , Gerd

Kaufmann , Günther

Kaufmann , Irma , geb. Pollack

Liebreich , Grete , geb. Spiero

Liebreich , Julius

Liebreich , Rudi

Löwenstein , Edith , geb. Bonnin

Löwenstein , Julie

Löwy , Siegfried

Markan , Julius

Meiseles , Salomon

Mendel , Ella , geb. Kraus

Mendel , Wilhelm

Müller , Eduard

Moses , Edith

Oppenheim , Julie

Oppenheim , Rischen

Poppers , Anneliese , geb. Fryda

Röttgen , Ernst

Röttgen , Günther

Röttgen , Leo

Röttgen , Martha

Röttgen , Sara , geb. Appel

Röttgen , Siegfried

Röttgen , Werner

Rolef , Josefine

Rosemund , Emma

Rosenthal , Ernst

Rosenthal , Gustav

Rothenburg , Paula , geb. Fryda

Sänger , Edith , Guttenberg

Salomon , Emma , geb. Cohn

Salomon , Isaak

Samuelsdorf , Robert

Schacher , Mathilde , geb. Cohn

Schmelz , Fritz

Schnitzer , Bruno

Schnitzer , Hermann

Schnitzer , Moritz

Schnitzer , Rosa , geb. Kasner

Schürmann , Werner

Simon , Ida , geb. Hamm

Sondheimer , Johanna , geb. Kadden

Spiegel , Else

Spiero , Elise

Spiero , Johanna , geb. Rosenberg

Stern , Betty

van Buuren , Koort S.

Wassermann , Samuel , gen. Rosenmann

Wassermann , Rosa Ruth

Wassermann , Samuel

Wechsler , Alice , geb. Brenner

Weinthal , Amalie

Weinthal , Helene

Weinthal , Moritz

Winkelmann , Regina

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